12.09.2014
In Georgien würde ich nun sagen: Vaime! – Oh weh!
Wo soll ich nur anfangen!
Erst eine Woche ist vergangen und ich habe gefühlt schon 1000 Dinge zu berichten.
Nach meiner wirklich anstrengenden Anreise habe ich zunächst ein paar Tage gebraucht, um überhaupt zu realisieren, dass ich nun tatsächlich weg bin und wo ich da eigentlich gelandet bin. Zunächst hat mir tatsächlich der Jetlag sehr zu schaffen gemacht. Mittags war ich hundemüde und nachts hellwach. Es hat gute drei Tage mit extrem wenig Schlaf gebraucht, bis sich mein Körper an die Umstellung gewöhnt hatte.
Die erste Dusche
Wenn ich müde bin, ist mit mir erstmal nur wenig anzufangen. Zumindest bis zur morgendlichen Dusche, meinem ersten Kaffee und meiner Kippe. Da ich bereits in der ersten Nacht unheimlich gefroren habe, da man im Wohnheim keine richtigen Schlafdecken zur Verfügung hat, wollte ich den Tag zumindest mit einer heißen Dusche beginnen. Na wenn das mal so einfach wäre… Ich gehe in die Frauendusche, nehme die Brause in die Hand und –flutsch!, wie soll es auch anders sein– der Duschkopf fällt ab. Na toll! Also gut, denke ich mir. Nicht aufregen, einfach versuchen dran zu schrauben. Wird schon irgendwie halten. Tut es nicht. Ok, dann eben ab in die Männerkabine daneben. Vielleicht geht es dort. Die Brause hält. Eiskaltes, braunes Wasser kommt heraus. Das darf nicht wahr sein!, brodele ich innerlich. Erster Tag und direkt kalt duschen. Was für ein Start!
Die erste Erkältung
Noch keine Woche hier und schon erkältet. Das kann ja ein lustiger Winter werden! Aber irgendwie auch wenig verwunderlich, dass mein Körper nach all den Vorbereitungen und stressigen Situationen bis in die letzte Sekunde über nun ziemlich geplättet und erschöpft ist. Nur etwas blöd meine Zeit in Jakutsk mit triefender Nase zu beginnen, wenn hier Nase putzen in der Öffentlichkeit strengstens untersagt ist. Im Unterricht ist es auch nicht gerade angenehm vor den Studenten zu stehen und alle zehn Sekunden die Nase hochzuziehen oder ab und zu doch ganz schnell mal ein Taschentuch zu benutzen. Eieiei… Was für ein Start!
Aber Hauptsache die Heizung wird in zwei Wochen endlich angemacht. Dann friert man zumindest nicht mehr und das Erkältungsrisiko dürfte sich etwas verringern. Zum Glück konnte ich schon meine Winterkleider, die ich mir von Deutschland aus vorgeschickt habe, endlich einsammeln.
Meine ersten Pakete
Nachdem ich meinen Flug gebucht habe und ich (aus welchen Gründen auch immer) kein zweites Gepäckstück dazu buchen durfte, stand ich vor der großen Schwierigkeit, wie ich all meine Sachen nun nach Jakutsk bringen sollte.
Selbst die Vakuumtüten würden diesem Problem keine Abhilfe verschaffen können. Wenn man in die kälteste Stadt der Welt geht, benötigt man einfach jede Menge Wintersachen. Also muss das Zeug irgendwie auf anderem Wege dort hingelangen. Und wie am besten? Per Post! Also ab zu DHL ein 19 kg schweres Paket und einen 11 kg schweren Koffer aufgeben. In zwei Wochen würde das dann schon in Jakutsk ankommen –noch vor mir! Das konnte ich nicht glauben. Alle Russland Erfahrene, die ich bisher getroffen habe, berichteten vom Gegenteil: Mal war das Paket wochenlang unterwegs, mal vollkommen verschollen und ein andermal kam nur die Hälfte des Inhalts an. Aber wie dem auch sei. Ich war froh drum. Die einzige Schwierigkeit: Es steckte im Zoll fest. Also kaum angekommen musste ich mich irgendwie auf die Suche nach meinem Paket machen. Die Winterklamotten, die Gastgeschenke, die Unterrichtsmaterialien,… vor allem aber der Kaffee…. das war schon alles dringend benötigt! Zum Glück sind die Ansprechpersonen im International Office sehr hilfsbereit. Also haben wir uns für einen Nachmittag verabredet um uns gemeinsam auf die Suche nach dem Paket zu machen. Das hat dann auch nur volle zwei Stunden, mehrere Fahrten mit dem Taxi der Universität quer durch die Stadt und vier voll beschäftigte Menschlein benötigt. So einfach bekommt man in Russland seine Pakete!
Selbstversorgung
Es gibt mehrere Gründe, warum ich mich in den kommenden Monaten primär von selbstzubereitetem Essen ernähren werden muss. Erstens, Vegetarier sind im hohen Norden des Fernen Ostens noch kaum verbreitet und entsprechend sieht das Angebot auf den Speisekarten aus: Fleisch, Fleisch und… ach ja, Fisch. Mich überrascht es, dass es der Ausdruck „vegetarisch“ überhaupt schon in die russische Sprache geschafft hat. Zweitens, selbst wenn es ein Angebot an vegetarischer Küche in Restaurants gäbe, dann wäre es unbezahlbar. Essen bzw. generell ausgehen kann man sich in Jakutsk einfach nicht leisten. Drittens, die in der Mensa angebotenen Gerichte, die tatsächlich bezahlbar wären, sind geschmacklich leider unerträglich. Erst wenn der Salzstreuer bis zur Hälfte übergeleert wurde, erhält man ein kleines bisschen Geschmack. Das Salz im Norden schmeckt einfach nicht nach Salz. Das war in Finnland auch schon so. Das schreit nach einer dringenden wissenschaftlichen Untersuchung!
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Fünftens, uns bekannte Fast-Food-Ketten bzw. Food-to-go jeglicher Art gibt es hier nicht. Also was bleibt? Genau! Die Selbstversorgung.
Doch selbst das erweist sich als schwierig. Denn die Supermärkte hier sind nicht zu vergleichen mit jenen, die wir gewohnt sind. Es gibt zwar welche, aber die Auswahl ist mehr als gering. Das europäische Überangebot, das uns bei der Produktwahl durch und durch ins Schwanken bringt, existiert hier leider nicht. Und das auch unabhängig von den derzeitigen Einfuhrverboten europäischer Produkte. Scheinbare Billigprodukte wie Dosenware oder Scheiblettenkäse kosten hier ein halbes Vermögen. Ganz zu schweigen von richtigem Käse. Das kenne ich zwar auch schon aus Georgien und Finnland, aber hier ist es nochmals teurer.
Eigentlich hatte ich mich schon auf ein Jahr Nudeln mit Tomatensoße eingestellt. Aber noch nicht einmal Tomatensoße lässt sich auftreiben! Das kann ja noch heiter werden! Mittlerweile fürchte ich nicht mehr den Kältetod, sondern vielmehr einen bevorstehenden Hungertod….
Entspannt einkaufen. Von wegen!
Neulich wollte ich mir mal einen anderen Supermarkt anschauen, um dessen Sortiment abzuchecken. Nur leider wurde das gemütliche durch die Regale taumeln vollkommen unentspannt, nachdem einer der Verkäufer sich dazu entschlossen hatte mich auf Schritt und Tritt zu verfolgen, um ja zu kontrollieren, dass ich nichts stehle. Von solchen Erlebnissen habe ich schon öfters aus dem östlichen Teil Europas gehört, aber es selbst noch nie erlebt. Bis zu diesem Tag. Ab sofort werde ich nur noch in den Supermarkt meines Vertrauens gehen. Da kann man noch entspannt und unbeobachtet seine wenigen Produktlein einkaufen.
Kein Platz für Genussmenschen
Dass es in Russland allgemein, aber in Jakutsk im speziellen für Vegetarier schwierig werden würde, war mir durchaus bewusst. Aber zumindest hatte ich die Vorstellung eines Raucher und Trinker freundlichen Russlands im Kopf. Von wegen! In Jakutsk herrscht seit zwei Jahren ein strenges Rauchverbot, das tatsächlich auch eingehalten wird. In der Studentenstadt, in welcher ich mich fast ausschließlich aufhalte, darf nicht geraucht werden. Nirgends! Und ich meine NIRGENDS! So kommt es vor, dass man sich wie in der Schule heimlich eine Ecke sucht, um schnell zwei drei Züge zu ziehen und den Rauch so auszupusten, dass er aus keinem umliegenden Winkel gesehen werden kann. Entgegen jeglichen Klischees und Vorurteilen wird hier nicht sonderlich viel getrunken. Auch nicht sonderlich verwunderlich, wenn es keine richtige Ausgehkultur gibt…
Und was soll ich nun machen? Ich werde hier noch zur fleisch- und fischfutternden im Pelzmantel gehüllten, high heels tragenden Chica, die lieber gemütlich mit ihrem Mann auf dem Sofa sitzt als ordentlich auf den Putz zu hauen. Wäre ein größerer Kontrast zu meinem bisherigen Dasein überhaupt noch möglich?
Sprache lernen –wozu?!
Zugegeben. Ohne Russisch-Kenntnisse ist man hier einfach aufgeschmissen. Das war mir vor meiner Ausreise durchaus bewusst. Aber die Zeit hat es einfach nicht hergegeben mir zumindest das Alphabet und einige Grundfloskeln anzueignen. Das macht die Sache nicht gerade einfacher. Selbst die internationalen Studenten, die mit mir im Wohnheim wohnen, sprechen mehr Russisch als Englisch. Deshalb muss ich mich nun wirklich schnell an Russisch setzen! Ab nächsten Montag werde ich endlich einen Russisch-Kurs besuchen. Und das dann jeden Tag für drei Stunden. Das sollte doch ein Anfang sein.
Und bis dahin wird weiter die Kunst der nonverbalen Kommunikation geübt. Man mag es kaum glauben, aber es funktioniert tatsächlich. So ging die Freundin eines Kollegen mit mir ein paar Dinge für mein Wohnheimzimmer einkaufen. Sie konnte nur auf Russisch und Jakutisch kommunizieren, ich nur auf Deutsch und Englisch. Am Ende verständigten wir uns nonverbal. Spätestens nach diesem Jahr werde ich ein Meister der Pantomime sein!
Alles andere
Obwohl ich mir sicher war, dass ich bis ins letzte Detail an alles gedacht habe, hat dennoch das ein oder andere im Gepäck gefehlt. Nur für das nicht mitgebrachte Hochschulzeugnis konnte ich nichts. So war ich davon ausgegangen, dass die eingescannte Version für die Erstellung meines Arbeitsvertrags an der Uni ausreichen würde. Dem war leider nicht so. Seit neuestem hätte man gern eine beglaubigte Kopie und das Original. Darüber hinaus muss der Reisepass von einer russischen Behörde beglaubigt werden. Und weil das alles noch nicht genügt, muss auch noch mein Zeugnis Wort für Wort auf Russisch übersetzt und anschließend –wer hätte es gedacht– beglaubigt werden. Zum Glück kann mir ein netter Mitbewohner aus dem Studentenwohnheim meine Unterlagen von seinem derzeitigen Deutschlandbesuch mitbringen. Denn auch wenn mein Gepäck sicher und unbeschadet in Russland angekommen ist, möchte ich doch nur ungern mein Original-Abschlusszeugnis um die halbe Welt schicken…
So viel zu meiner ersten Woche. Der Unterricht hat zwar auch schon begonnen, aber die dazugehörenden Stories wird es zu gegebener Zeit an anderer Stelle dieses Blogs geben.
liebe sabrina, lese jetzt erst diesen beitrag, aber das was darauf folgte, klingt ja schon erfreulicher 🙂 und du scheinst ja auch gute gesellschaft im wohnheim gefunden zu haben? freu mich, dich nächste in novo zu sehen. dann hauen wir mal wieder auf den putz!!
Das klingt ja eher nicht so super… Ich hoffe es ist nicht alles so suboptimal